Stell dir eine Wiese vor, auf welcher stolze Bäume in allen Formen und Farben stehen. Vielleicht weiden einige Schafe oder Kühe das Gras. Im Herbst liegen erste, gefallene Äpfel im Gras. Sie schmecken allesamt unterschiedlich: Manche frisch und knackig, andere mehlig und intensiv aromatisch.
Diese «Obstplantagen» werden Hochstammobstgärten oder Streuobstwiesen genannt und prägen vielerorts die Schweizer Kulturlandschaft. Bei den Bäumen handelt es sich fast immer um Hochstammbäume.
Die Obstbäume haben die ersten Äste erst in 1,6 Meter Höhe und sie bilden grosse Rundkronen.
In der Schweiz prägen sie unsere Landschaft: Als Alleen säumen sie Strassen, in und um Dörfer stehen sie in Obstgärten und als Streuobstwiesen sind sie in allen Regionen vertreten.
Wertvolle Schweizer Kulturlandschaft
So sehen wir im Kanton Solothurn, im Schwarzbubenland (wer auch immer sich diesen Namen ausgedacht hat) ganze Landschaften an Kirschbäumen – über 10’000, teilweise über 100 Jahre alte Bäume tragen im Frühling tausende Blüten und im Sommer feine Schweizer Kirschen.
Im Baselbiet wird so noch der Anbau von Zwetschgen gepflegt. Und im Tessin und im Graubünden ist das Marroni-Land.
Am bekanntesten dürfte uns aber «Mostindien» sein. Die Gegend rund um den Bodensee steht voller prächtiger Hochstammapfel- und Birnbäume! Von hier kommt auch das meiste Obst, welches zu Most verarbeitet wird.
Typische Mostapfelorten sind überwiegend Hochstammbäume. Aber nicht nur das: Auch die feine, hiesige Apfelsorte «Berner Rosen» sind solche Bäume. Sie kommen ursprünglich aus Oppligen bei Bern und wir lieben den dunklen, knackigen Tafelapfel.
Neben Äpfel, Birnen, Zwetschgen, Kirschen und Marroni kommen auch Quitten, Mispeln und Baumnüsse von Hochstammbäume.
Ein wenig Geschichte zum Obstanbau
In der unberührten Natur kommen vor allem Hochstammbäume vor. Diese wurden dann auch von den Menschen bis ins 20. Jahrhundert als Streuobstwiesen in den Gärten und vor den Dörfern angebaut. So wurden in der Schweiz einmal 15 Millionen Bäume gezählt!
Nach dem zweiten Weltkrieg war jedoch Schluss mit dem Wachstum dieser Wiesen und Bäume: Es wurden sogenannte «Rodungsprämien» eingeführt, wo der Staat für jeden gerodeten Hochstammbaum einen gewissen Geldbetrag bezahlte. Dies, um das Sortenchaos zu bereinigen (ich frage mich heute, wer auf den Gedanken kam) und um den Obstanbau zu intensivieren. Gleichzeitig dehnte sich die Industrie aus und nahm den Platz von Hochstammobstgärten rund um die Dörfer ein. In der Schweiz wurden bis in die 80er Jahren diese Prämien ausbezahlt.
Ernte und Pflege von Hochstammbäumen auf hohen Leitern ist zeitaufwändig und mit viel Handarbeit verbunden. Der Ertrag ist geringer als in Niederstammanlagen und durch Wetterereignisse unvorhersehbar.
Hochstamm Suisse
Statt der Hochstammbäume wurden nun in langen, dichten Reihen Niederstammbäume gepflanzt. Das heisst, kleinere, einfacher zu handhabende Bäume mit weniger Platzverbrauch. Durch diese Monokulturen wurde der Obstanbau intensiviert und vereinheitlicht, denn Niederstammbäume sind einfacher zu pflegen, schneiden und ernten. Und sie stehen nicht im Weg bei der Produktion von anderen Nahrungsmitteln.
Wenn du mehr zu Monokulturen erfahren möchtest, findest du hier einen Beitrag zu Monokulturen und nachhaltiger Landwirtschaft.
Heute stehen noch etwas mehr als zwei Millionen Bäume. Zum Glück wurde vor der kompletten Rodung gemerkt, dass die Umstellung nicht nur eine gute Idee war…
Hochstammbäume unterstützen, schützen und pflanzen
Es gibt so einige Gründe, weshalb die grossen, stolzen Bäume nicht gefällt werden sollten:
- Hochstämme bieten einen sehr wichtigen Lebensraum für seltene Tier- und Pflanzenarten.
- Sie sind ein wichtiger Teil der Schweizer Kulturlandschaft.
- Hochstämme sind eine unerlässliche Reserve für die weitere Züchtung von Nutzpflanzen: Sie weisen nämlich hohe Resistenzen gegenüber Krankheitserreger auf!
- Sie weisen eine unglaubliche Vielfalt an alten Sorten auf: In allen möglichen Geschmacksrichtungen.
- Sie sind teilweise auch für Allergiker verträglich.
- Die alten Sorten sind oftmals standortangepasst: Das heisst, sie haben sich über die Zeit hinweg an das lokale Klima gewöhnt und gedeihen wunderbar. Das führt auch zu lokalen Spezialitäten (was wiederum der Kulinarik zugute kommt!)
So wurde beispielsweise die «Schweizer Bratbirne» vom Sortenerhaltungsverein «Fructus» wieder in ihrem Ursprungsgebiet am Zürichsee angepflanzt.
In der Schweiz engagieren sich zudem der Verein «Hochstammsuisse» und «ProSpecia Rara» für den Erhalt der noch bestehenden Hochstammbäume und für die Anpflanzung von neuen Streuobstwiesen.
Hochstammobstgärten weisen eine grosse Zahl verschiedener Lebensräume auf und gehören damit zu den artenreichsten Lebensräumen Mitteleuropas. Die jahrhundertalte Nutzung widerspiegelt sich auch in der Artenvielfalt. Heute kennt man in der Schweiz über 2500 Obstsorten.
Hochstamm Suisse
Die «Initiative Hochstamm Deutschland» hat übrigens sogar den Antrag gestellt, dass der Streuobstbau ein immaterielles UNESCO-Weltkulturerbe wird!
Was kannst du als Konsument:in tun?
Nun, es ist schon ein toller Anfang, dass du dich mit dem Thema auseinandersetzt! Du kannst den Anbau und Erhalt der Hochstammbäume aber ganz einfach unterstützen:
Das Angebot bestimmt letztlich auch hier die Nachfrage. Je mehr Produkte aus entsprechenden Produktionen verkauft werden können, desto eher werden die Streuobstwiesen und damit die Hochstammbäume erhalten.
Das Label «Hochstamm Suisse» zeichnet Produkte aus, die zu 100% aus Schweizer Hochstammobstgärten stammen.
Halte im Supermarkt (zum Beispiel Coop) Ausschau nach dem entsprechenden Label und kaufe Produkte wie Süssmost, Birnel und frische Früchte aus Hochstammanbau.
Greife immer mal wieder auf alte Sorten zurück. Diese findest du am ehesten im Bioladen, auf dem Märit oder beim Bauernhof um die Ecke. Bei uns in Bern hat zum Beispiel «Stettler Obst» eine breite Auswahl an alten und neuen Sorten! Sie sind am Märit auf dem Bundesplatz und haben ein Hoflädeli.
Pascale’s persönlicher Traum für die Zukunft ist, zu so einem Obstgarten schauen zu dürfen. Denn die unglaubliche Vielfalt ist so faszinierend 🙂