Der kleine Bus kurvt sich an typisch steilen Walliser Berghang hinauf. Der Holunder blüht und die Wolken ziehen direkt an uns vorbei. Es ist ein regnerischer Tag und wir sind schon einige Zeit unterwegs zur Führung im Sortengarten Erschmatt. Wir freuen uns sehr, alles über die Lebensgrundlagen der Region zu erfahren.
Immer tiefer lassen wir das Dorf «Leuk» hinter uns zurück bis wir dann im Dorf Erschmatt ankommen. Ein Friedhof, eine Bushaltestelle und das Erlebniszentrum für den Roggen mit einem Restaurant: Das ist der Dorfkern. Die Häuser sind urchig und in unseren Augen wunderhübsch. Im Laufe der Führung erfahren wir, dass im Wallis das Realerbrecht gilt und das jeder der Gärten so viele Besitzer*innen hat.
Der Sortengarten Erschmatt ist nur eine Gehminute von der Bushaltestelle entfernt.
Eine Anmerkung vorab: Unser Wissen über den traditionellen Anbau von Roggen haben wir an der Führung erhalten. Wir geben uns Mühe möglichst alles akkurat zu teilen, jedoch sind wir leider keine Expertinnen. Wir hoffen dir dieses faszinierende Thema des Roggenanbaus näher bringen zu können.
Schau jetzt unser Video über den Sortengarten auf Instagram!
Der Sortengarten Erschmatt
Unterhalb des Friedhofs befindet sich ein kleines Haus mit grossem Garten; Dort wollen wir hin. In diesem sogenannten Sortengarten werden die traditionellen Getreidesorten angebaut und durch Saatgutgewinnung erhalten. Und das bereits seit 35 Jahren! Wir sehen im Garten, wie unterschiedlich die verschiedenen Sorten aussehen und uns wird das erste Mal klar das Korn nicht gleich Korn ist. Das ist eigentlich logisch – für uns aber ein ziemlicher Aha-Moment!
An der Führung durchs Dorf kommen wir immer mal wieder an kleinen Anbauflächen vorbei, die eine Distanz von mehreren hundert Metern voneinander trennt. Nur so kann die Erhaltung des reinen Korns gewährleistet werden, ohne dass es zu Kreuzungen kommt. Manche sind sogar mit Hauben abgedeckt! Der Erhalt der Sorten erfordert einiges an Aufwand.
Während zwei Stunden wandern wir durchs Dorf und halten an den verschiedensten kleinen Gebäuden um etwas zur Tradition des Getreideanbaus zu erhalten. Sie alle haben etwas mit der Tradition des Roggens zu tun. Die Zeit verfliegt im Nu!
Roggen, das traditionelle Grundnahrungsmittel des Wallis
Schau jetzt unser Video über den Sortengarten auf Instagram!
Die Strasse nach Erschmatt wurde erst in den 1960er Jahren gebaut, vorher führte ein Pfad in die Höhe hinauf. In der Nähe liegt eines der trockensten Naturschutzgebiete Europas und so ist es erstaunlich, wie sich Dörfer, wie eben Erschmatt, selbstversorgt haben.
Das Grundnahrungsmittel dazu war Roggen: Das Getreide eignet sich gut um in Höhenlagen angebaut zu werden. Roggen mag das im Wallis typisch trockene Klima. Durch die jahrhundertelange Kultivierung wurde er noch mehr an die gegebenen Umstände angepasst.
So war der Roggen (und damit auch das Roggenbrot) über Jahrhunderte hinweg die wichtigste Lebensgrundlage der heimischen Bevölkerung. Durch eine optimale Zusammensetzung der Nährstoffe trug er ausserdem zur Gesundheit aller bei.
Speziell am Roggen ist, dass er jedes Jahr auf derselben Fläche angebaut werden kann, ohne dass der Boden auslaugt oder Krankheiten auftauchen. Das bringt ihm einen deutlichen Vorteil gegenüber Getreidesorten wie Weizen, Hafer oder Hirse ein. Ausserdem wurzelt der Roggen so tief, wie er hoch wächst (was bis zu 1,5 Meter sein kann!) Dadurch hält er vermutlich die Erde an den Hängen an Ort und Stelle und die Gefahr von Bodenerosionen wird kleiner.
Es gibt den Sommer- und Winterroggen. Sie benennen den Aussaatzeitpunkt, werden aber zur selben Zeit geerntet. Ein Vorteil des Winterroggens ist sein Wachstumsvorsprung.
Die Ernte und Verarbeitung
Der Walliser Roggen wächst sehr hoch und liegt schneller ab als intensiv genutzte Sorten. Zudem fallen die Körner schneller aus den Ähren. So wurde er in alten Zeiten am frühen Morgen geerntet, wenn der Tau die Körner noch in den Hülsen hielt.
Nach der Ernte wurde das Getreide zu Bündeln, sogenannte Garben geschnürt und noch auf dem Feld getrocknet. Dann lagerte man diese im «Stadel» ein, bis die Ähren im Winter gedroschen wurden. Den «Spreu vom Weizen trennen» war eine langwierige Angelegenheit um das reine Roggenkorn zu erhalten.
Früher gab es in nahezu jedem Dorf einen Müller, welcher das Getreide anschliessend zu Mehl mahlte. Heute gibt es im ganzen Wallis nur noch in Natters eine Mühle. So wird das Getreide vorwiegend in der Westschweiz gemahlen und dann den ganzen Weg zurückgefahren um als regionale Spezialität angeboten zu werden. So haben diese dann doch etwas mehr Kilometer auf dem Buckel, als sich im ersten Moment vermuten liesse.
Mit dem Mehl wird dann ein Sauerteig angesetzt, welches nur zweimal jährlich passierte. Dann heizte man den riesengrossen Ofen ein (wirklich gross, wir könnten quer und lang hineinliegen, was auch etwas unheimlich ist) und eine Familie nach der anderen backte ihr Brot. Wegen der langen Lagerung ist das Brot auch traditionellerweise so hart!
Diese Methode der Aufbewahrung klappt aber auch nur an einem trockenen Standort wie den Walliser Berghängen. Bei uns im Bernbiet wäre das Klima zu feucht um Brot ein halbes Jahr sinnvoll aufzubewahren.
Der Walliser Roggen heute
Die alte Walliser Roggensorte ist im Gegensatz zu den heutigen Sorten des intensiven Ackerbaus nicht mit der Maschine zu ernten. Das ist hier auch kaum denkbar: Die Hänge sind sehr steil. Um besser anbauen zu können wurden Terrassen in den Hang gelegt – ein wenig so wie wir die Bilder von Reisterrassen im Asiatischen Raum kennen. Wir sind fasziniert, dass es diese Art des Anbaus auch bei uns gibt. Mittlerweile werden die Terrassierungen kaum mehr genutzt, so dass sich der Wald wieder ausdehnt. Gegen diese Vergandung arbeitet unter anderem das Team des Sortengartens, so haben sie in den letzten Jahren einige Flächen wieder zurückgewonnen.
Durch Projekte wie den Sortengarten ist es erst möglich, bedrohte Sorten zu erhalten und wieder zu verbreiten. So arbeitet der Sortengarten Erschmatt auch mit Pro Specie Rara zusammen.
Wir wurden so lieb Willkommen geheissen! Wir können wir dir von Herzen empfehlen, einen Nachmittag oder Abend in Erschmatt zu verbringen, mit den Erhalter:innen ein eigenes Brot nach alter Tradition zu backen und den spannenden Sagen zuzuhören! Durch das Teilnehmen unterstützt du auch den Erhalt der Tradition – und damit unsere kulturelle Vielfalt.