Weniger Plastik, mehr Bewusstsein: Wir alle realisieren langsam, dass unser Abfall nach der Entsorgung nicht einfach verschwindet.
Aufgrund des hohen Lebensstandards hat die Schweiz mit 716 kg Abfall pro Person eines der höchsten Siedlungsabfallaufkommen der Welt. Davon werden knapp 53 % rezykliert.
Bundesamt für Umwelt, BAFU
Leider ist auch die Kehrichtverbrennung keine Lösung: Von der Produktion bis zur Verbrennung ist viel Energie und Arbeitskraft involviert. Und das Verbrennen trägt ebenfalls zum CO2-Ausstoss bei. Ausserdem werden hier wertvolle Ressourcen einfach vernichtet. Deshalb sollten wir alle unseren Haushaltabfall reduzieren, der zu einem Grossteil aus Verpackungen besteht.
Bern Unverpackt ist einer der Läden, die das «Zero Waste»-Einkaufen in Bern möglich machen. Wir möchten wissen, was hinter den Kulissen eines solchen Ladens geschieht. Im Quartierzentrum des Weissenbühls, der Villa Stucki, treffen wir Petra Lüscher und Lukas Aeschlimann.
Rasch lernen wir, dass die Ansichten bei Bern-Unverpackt rational sind: «Wir retten die Welt nicht mit dem eingesparten Abfall unseres Ladenkonzepts.»
Weshalb trotzdem das ehrenamtliche Engagement?
Nichts dem Zufall überlassen
Noch sind wir alleine im Laden. Die alte Villa hat Charme. Durch den Ausblick auf den Park mit alten Bäumen fühlen wir uns der Natur nahe – die Atmosphäre ist ein krasser Kontrast zu einem Supermarkt.
Zuerst – das Tageslicht. Dann die sorgfältige Präsentation der Lebensmittel. Schliesslich, das Offensichtlichste: Es fehlen Plastik, Papier, Karton und Einwegbehältnisse.
Bei jedem Silo, Zapfhahn oder Glas steht der Name des angebotenen Produkts, seine Herkunft, sein Preis und nach welchem Anbaustandard es produziert wurde.
Die verkauften Lebensmittel werden von den Kund:innen in mitgebrachte Behältnisse abgefüllt. Das hat den Vorteil, dass keine Verpackung anfällt und genau die benötigte Menge eingekauft werden kann. So kann das unverpackte Einkaufen dazu beitragen, neben Haushaltsabfall auch Foodwaste zu vermeiden.
Damit ein Produkt ins Sortiment aufgenommen wird, wird es einer genauen Betrachtung unterzogen. Bern-Unverpackt evaluiert jedes Produkt sorgfältig nach verschiedenen, nachhaltigen Faktoren. Dazu gehört (natürlich), dass es möglichst unverpackt bezogen werden kann.
Die Beurteilungskriterien sind die folgenden:
- Wie wurde das Lebensmittel produziert? Dazu gehört unter anderem die Entscheidung zwischen bio und konventionell, wobei nicht nur Labels berücksichtigt werden, sondern auch das Gespräch mit den Produzierenden gesucht wird.
- Wie regional ist seine Herkunft? Je nach Produkt ist seine Regionalität von grosser Bedeutung. Eine kürzere Distanz reduziert den ökologischen Fussabdruck des Transports, lässt ein näheres Verhältnis zu den Produzierenden zu und Lieferketten werden überschaubarer. Nur so wird eine Zero-Waste Wertschöpfungskette überhaupt möglich.
- Wie wird das Produkt gehandelt? Bern Unverpackt legt Wert auf Transparenz: So muss klar sein, dass Bauern und Bäuerinnen unter fairen Bedingungen arbeiten, dass sie gerecht bezahlt werden und der Transport ökologisch sinnvoll abläuft.
Je nach Produkt werden die Kriterien unterschiedlich gewichtet. So finden sich nicht nur bio-zertifizierte Produkte im Unverpackt-Laden. Gerade für kleine Betriebe ist die Zertifizierung oft unverhältnismässig teuer und nicht realisierbar. Konventionell produzierte Kichererbsen aus Genf haben es auch ins Sortiment geschafft. Ihre Produktion in der Schweiz ist (noch) eine Seltenheit.
Unser Favorit ist wohl der Community Supported Kaffee von Teikei, welcher mit dem Segelschiff aus Mexiko den Atlantik überquert und per Zug die Schweiz erreicht. Die regionale Alternative steht direkt daneben: der Süsslupinen-Kaffee aus Riggisberg (der ist echt fein).
Im Sortiment von Bern-Unverpackt können wir (fast) einen ganzen Einkauf machen. So sprechen Petra und Lukas über die Notwendigkeit der Vernetzung. Wenn sich gleiche Unverpackt Läden in Zukunft koordinieren, dann könnte ein hilfreiches Netzwerk entsteht.
Unverpackt ist Definitionssache
Lukas erklärt uns verschiedene Arten von «Unverpackt»:
- Bei manchen Produkten fällt kein Abfall an. Diese werden in Mehrweggebinden geliefert, die zurück an die Lieferantinnen und Lieferanten gehen. Beispielsweise die Haferflocken im Fass oder die Depot-Gläser. Beide Gebinde werden zwischen ihren Einsätzen gereinigt.
- Aufgrund von Qualitäts- und Hygienegründen ist eine komplett plastikfreie Lieferkette nicht bei allen Lebensmitteln möglich. Dazu kommen Produkteigenschaften und Anforderungen der Produzierenden. So wird beispielsweise das Granola aus Mittelhäusern (ein Dorf in der Nähe von Bern) in grossen Fässern geliefert, welche mit einem Plastiksack ausgekleidet sind. Dieser kann leider nicht wiederverwendet werden. Immerhin fällt nur eine Verpackung an, statt viele kleine!
- Einige Non-Food Produkte, beispielsweise Zahnbürsten aus Holz, können ebenfalls aus Hygienegründen nicht ohne eine Verpackung aus Karton angeboten werden.
Für eine komplett verpackungsfreie Lieferkette ist oft die Regionalität eines Produkts der entscheidende Faktor: Je näher es am Verkaufsort produziert wird, desto eher ist der unverpackte Vertrieb möglich. Aufgrund der kurzen Lieferketten ist die Absprache mit Produzent:innen einfacher.
Ein Einsatz für Mehr
Wir sehen: Nichts wird dem Zufall überlassen. So ermöglicht uns Bern Unverpackt einen nachhaltigen Einkauf, ganz ohne Abfall. Aber was bringt das, wenn wenige Menschen ihren Abfall reduzieren?
“Wir retten die Welt nicht. Aber hey, wir alle können und müssen einen Beitrag leisten!”, sagt Petra.
Bern Unverpackt macht sich keine Illusionen. Im Vergleich mit dem Grosshandel und der Industrie ist das unverpackte Einkaufen eine Nische.
Doch das ehrenamtliche Engagement zielt auf mehr ab, nämlich auf eine gesamtheitliche Betrachtung von Nachhaltigkeit. Das Thema Verpackungsmüll soll vermehrt ins öffentliche Bewusstsein gerückt und die Wertschätzung für die regionalen Lebensmittel gefördert werden.
Dank dem Einsatz von vielen, kleinen Unverpackt-Läden und Initiativen wird heute mehr über Abfall gesprochen. Auch wenn in Supermärkten erste Unverpackt-Stationen entstehen, so fällt aufgrund der komplexen Logistik und der langen Transportwege hinter den Kulissen immer noch viel Verpackungsmaterial an. Aber: Plastiksäckchen werden mittlerweile nicht mehr gratis an den Kassen abgegeben, kompostierbare Alternativen entstehen. Und in der Politik ist das Thema auf dem Tisch.
Wenn wir unverpackt einkaufen, geht es also um mehr, als um die paar Gramm Abfall, die wir einsparen. Es geht ums grosse Ganze. Um den Einsatz für eine bewusste und nachhaltige Lebensweise.