Rücksichtsvoll hergestellte Lebensmittel sind die Grundlage einer nachhaltigen Ernährung. Dazu gehört auch der sorgsame Umgang mit der Natur bei der Produktion. Eine Methode rückt besonders in Zentrum: Die regenerative Landwirtschaft.
Wir sprechen mit Simon Jöhr, gelernter Gemüsegärtner, Agronom und Fachperson für regenerative Landwirtschaft am INFORAMA.
Im Rahmen der Kulinata 2021 führen wir, in Zusammenarbeit mit dem Amt für Umweltschutz der Stadt Bern, Interviews mit Expert:innen zu Themen der nachhaltigen Ernährung. Die Kulinata ist das Festival für nachhaltige Ernährung und findet, mit unterschiedlichsten Veranstaltungen für Gross und Klein, vom 18. bis 24. September 2021 in und um Bern statt.
Simon Jöhr setzt sich seit Jahren für die regenerative Landwirtschaft ein. Durch Gruppen- und Einzelberatungen sensibilisiert er Bauern und Bäuerinnen für eine zukunftsfähige Landwirtschaft. Immer dabei: seine Schaufel. Ein Spatenstich verrät ihm vieles über die Gesundheit des Bodens.
Um diesen geht es heute: Der Boden, die Erde unter unseren Füssen. Sie ist die Grundlage unseres Lebens – und heute ist ihre Gesundheit keine Selbstverständlichkeit mehr.
Wir führen das Interview am Rand eines regenerativ bewirtschafteten Kornfelds, zwischen dem Weizen blinzeln Farbtupfer von rotem Mohn und blauer Kornblume hervor. Es ist heiss, für einmal diesen Sommer, über dem Belpberg baut sich bereits das nächste Gewitter zusammen.
Ein gesunder Boden ist die Grundlage
Der Boden besteht aus verschiedensten Schichten. Die oberste davon ist die Humusschicht: Sie enthält die essentiellen Nährstoffe, welche nötig sind, damit Pflanzen wachsen können – und ist damit die Grundlage für das Produzieren unserer Nahrung.
Wenn der Boden gesund ist, dann wachsen gesunde und kräftige Pflanzen, die unabhängig von zusätzlichen Düngergaben sind. So gewachsene Lebensmittel liefern uns Menschen auf natürliche Weise alle nötigen Nährstoffe und Spurenelemente. Diese werden im Wachstum durch die verfügbaren Elemente im Boden aufgenommen.
Alles hat einen Einfluss auf den Boden. Durch das Betreiben von konventioneller Landwirtschaft, mit regelmässigem Anbau von Pflanzen und der Haltung von Vieh, wird der Boden und die heimischen Bodenlebewesen gefordert. Ein nicht rücksichtsvolles Bewirtschaften führt zur Auslaugung und Verdichtung des Bodens. Das führt zu einem Ungleichgewicht zwischen den enthaltenen chemischen Stoffen, wie Stickstoff und Kohlenstoff. In der Folge sind weniger Nährstoffe verfügbar und Wasser wird schlechter aufgenommen.
Unter diesem Produktionsstandard können Lebensmittel nicht ihr volles Potential entfalten, sie enthalten weniger Nährstoffe und wachsen weniger zuverlässig. Vielleicht leidet die Fruchtbarkeit des Bodens sogar so sehr, dass Ernten massiv kleiner werden oder komplett ausfallen.
Sattbraune Farbe und der Duft nach Waldboden
An diesem Punkt setzt Simon an. Er erklärt uns, dass er mit Teilnehmer:innen seiner Kurse oder bei Einzelberatungen jeweils direkt ins Feld geht. Durch eine Schaufel Erde kann er die ersten Analysen zum Zustand des Bodens treffen.
Das Offensichtlichste sei die Farbe: Ein gesunder Boden hat ein warmes, durchgehendes Braun, das auch ganz dunkel sein kann.
Dann die Struktur, welche im besten Fall rund und krümelig sei. Simon zeigt es uns selbst: Ein Spatenstich ins Kornfeld fördert satt-braunen Boden zutage, der locker von der Schaufel purzelt. Es riecht gut – richtig erdig.
Der Geruch ist denn auch das dritte Indiz, wie es um den Zustand und die Gesundheit eines Bodens stehe: ein gesunder Boden riecht nach Waldboden. Ein aus dem Gleichgewicht geratener Boden hingegen sei optisch kantig, dicht und rieche nach nichts. Im schlimmsten Fall stinke der Boden sogar.
Simon ist wichtig zu betonen, dass die regenerative Landwirtschaft nicht nur Bauchgefühl sei: Durch die Forschung der letzten Jahrzehnte wurden neue Erkenntnisse gewonnen. So ist die Grundlage der regenerativen Landwirtschaft die Physik und Chemie.
Durch Bodenanalysen im Labor werden die Zusammensetzungen der verschiedenen Bestandteile wie Stickstoff, Magnesium, Kalzium, Kalium, Phosphor und Spurenelemente untersucht. Ein Überschuss oder Mangel des einen, kann durch entsprechende Hilfsmittel ausgeglichen werden. Immer mit dem Ziel das Gleichgewicht wiederherzustellen.
Mit der Natur – statt gegen sie
In der regenerativen Landwirtschaft ist das Gleichgewicht elementar. So wird der Anbau von Nahrung holistisch, im Zusammenhang mit der umgebenden Natur, betrachtet. Biodiversität ist wichtig: Jedes Lebewesen und jede Pflanze hat seine Daseinsberechtigung. Schliesslich gibt es immer einen Grund, weshalb sie da sind. Zu viele Läuse bedeuten so nicht unbedingt, dass die Pflanzen gespritzt werden müssen – es fehlt der:die entsprechende Gegenspieler:in im ökologischen Kreislauf.
“Der Boden […] ist die Grundlage zur Heilung.”
Simon Jöhr
Die regenerative Landwirtschaft will so nicht nur den aktuellen Status erhalten, indem der Boden nicht weiter ausgelaugt wird und Insekten nicht weiter verschwinden. Das Ziel ist den Boden und gesamte Ökosysteme zu regenerieren.
Dafür nutzt der regenerative Ansatz den neuesten Stand der naturwissenschaftlichen Erkenntnisse. Die regenerative Landwirtschaft untersteht dabei keinem Label. Ein Betrieb mit Bio-Label kann aber auch regenerativ arbeiten.
Die regenerative Landwirtschaft fördern
Damit die regenerative Landwirtschaft breiter angewendet werden kann, muss das Wissen um diese in die bäuerliche Ausbildung einfliessen. Dazu gehört auch das Anpassen von altbekannten Praktiken, wie der Aufbereitung der “Bschütti”, der Gülle in einem neu aeroben (unter Zufuhr von Sauerstoff) statt anaeroben (unter Ausschluss von Sauerstoff) Prozess.
Der Prozess der Umstellung erfordert Geduld und Vertrauen: So werden erst mehr landwirtschaftliche Betriebe ihre Produktion umstellen, wenn sie dadurch keinen Existenzängsten ausgesetzt sind.
Jedoch hängt die Verantwortung überhaupt nicht nur bei den Bauern und Bäuerinnen: Es ist ein Geben und Nehmen von Produzent:innen und Konsument:innen. Die nötige Sensibilisierung können wir durch eine angepasstes Bildungssystem erreichen. Unser aller Abhängigkeit von der Natur muss wieder zum allgemeinen Verständnis werden.
Um die regenerative Landwirtschaft heute zu unterstützen, kannst du bei landwirtschaftlichen Betrieben einkaufen, welche nach dem regenerativen Ansatz produzieren. Eine kurze Recherche bringt, zum Glück, bereits einige Betriebe zum Vorschein. Vielleicht auch in deiner Region? 🙂