Pflanzliche Ersatzprodukte sind in aller Munde: Etwa wird über die Benennung von Milch und Fleisch-Alternativen heftig diskutiert. Das Erscheinungsbild und die Basis dieser Produkte sind sehr verschieden: Von der Vegi-Wurst aus Erbsen, über Joghurt aus Mandeln bis hin zu Milchalternativen aus Hanfsamen lässt sich alles kaufen.
Wie wird der Ersatz für tierische Lebensmittel in Zukunft aussehen?
Wir stellen diese Frage Dr. Katrin Kopf. Sie forscht an der HAFL (Hochschule für Agrar-, Forst- und Lebensmittelwissenschaften) in der Forschungsgruppe „Lebensmittelprozesstechnologie und nachhaltige Innovation“ von Prof. Dr. Christoph Denkel an den ernährungsphysiologischen Grundlagen tierischer Ersatzprodukte.
Im Rahmen der Kulinata 2021 führen wir, in Zusammenarbeit mit dem Amt für Umweltschutz der Stadt Bern, Interviews mit Expert:innen zu Themen der nachhaltigen Ernährung. Die Kulinata ist das Festival für nachhaltige Ernährung und findet, mit unterschiedlichsten Veranstaltungen für Gross und Klein, vom 18. bis 24. September 2021 in und um Bern statt.
Braucht es Ersatzprodukte überhaupt?
Zuerst zum Elefanten im Raum: Ja, es braucht pflanzliche Ersatzprodukte. Unsere Ernährung basiert auf Traditionen. Mit dem Erwachsenwerden kristallisieren sich auch unsere Vorlieben heraus. Dadurch können wir nicht einfach verlangen, dass alle Menschen auf die ihnen gewohnten Produkte, wie beispielsweise Fleisch, verzichten. Das wäre ungesund.
Gleichzeitig sollte für eine nachhaltige Ernährung der Konsum tierischer Produkte zurückgehen.
Das Angebot an pflanzlichen Ersatzprodukten senkt die Einstiegschwelle in eine nachhaltigere Ernährung. Beispielsweise in der Gastronomie kann dies ein wichtiger Vorteil sein, um das Angebot entsprechend zu ergänzen.
Untersuchung von Inhaltsstoffen und ihrer Bioverfügbarkeit
Wir wissen, dass eine nachhaltige Ernährung gesund sein muss. Deswegen erklärt uns Katrin, dass im ersten Schritt die Bioverfügbarkeit von Inhaltsstoffen untersucht wird, um die Zukunftsfähigkeit neuer Lebensmittel abzuschätzen.
Bei der Untersuchung der Bioverfügbarkeit der Inhaltsstoffe eines Produkts wird erforscht, wo diese im Körper aufgenommen und wie gut sie vom Körper verwendet werden können. Diese Bioverfügbarkeit definiert den wesentlichen Teil des ernährungsphysiologischen Werts eines Lebensmittels: Ein ernährungsphysiologisch gutes Produkt ist für unsere Körper gut verträglich und bringt wertvolle Inhaltsstoffe mit – die vom Körper möglichst vollständig aufgenommen und verarbeitet werden können.
Im Labor vergleicht Katrin die Bioverfügbarkeiten der Inhaltsstoffe von pflanzlichen Ersatzprodukten mit ihren tierischen Äquivalenten. Vor allem das Protein gibt einiges zu diskutieren. Dieses ist nämlich mitunter die wichtigste, zu ersetzende, Komponente.
Die Bioverfügbarkeit von Protein
Das der Proteinbedarf durch pflanzliche Quellen gedeckt werden kann, haben wir im Interview mit Nathalie gelernt. Im Gespräch mit Katrin erfahren wir nun, dass pflanzliches Protein oft eine schlechtere Bioverfügbarkeit als tierisches aufweist.
Der Grund dafür ist die unterschiedliche Zusammensetzung der Proteine in pflanzlichen und tierischen Produkten. Tierische Lebensmittel vereinen üblicherweise alle essenziellen Aminosäuren in einem günstigen Verhältnis in sich. In pflanzlichen Lebensmitteln sind diese Verhältnisse meist ungünstiger. So kommt es, dass ein Teil des Proteins nicht genutzt werden kann.
In diesem Beitrag erfährst du, was (essenzielle) Aminosäuren sind.
So müssen einerseits mehr Proteine gegessen und diese aus unterschiedlichen Quellen geschickt kombiniert werden.
Durch gewisse Kombinationen von Zutaten wird das volle Spektrum der essentiellen Aminosäuren erreicht. Damit kann die Bioverfügbarkeit pflanzlicher Proteine im Produkt erhöht werden.
Ein Beispiel für gute Kombinationen
Ein Schnitzel aus Bohnen enthält möglicherweise ähnlich viel Protein wie ein Fleischschnitzel. Da die Bioverfügbarkeit aber schlechter ist, muss mehr vom pflanzlichen Schnitzel konsumiert werden, um dieselbe Menge Protein aufzunehmen. Gleichzeitig kommt das pflanzliche Schnitzel am besten kombiniert mit Reis auf den Teller. So enthält die Mahlzeit dann ein insgesamt günstiges Spektrum an essentiellen Aminosäuren.
Wobei sich Schnitzel nicht sonderlich durch ihren Proteinreichtum ausweisen oder gesund sind. Aber du verstehst, was wir meinen.
Durch die gezielte Kombination von z. B. Getreide mit Hülsenfrüchten, wie bei Linsengemüse mit Reis oder Erbseneintopf mit Brot, kann dies ausgeglichen werden. Getreide ist arm an Lysin, Threonin und Tryptophan, aber reich an Methionin. Hülsenfrüchte sind arm an Methionin, aber reich an Threonin und Tryptophan. Die Bioverfügbarkeit der Aminosäuren kann durch küchentechnische Verarbeitungsschritte, welche die Proteinstruktur verändern, beeinflusst werden. Dazu gehören z. B. Keimen und Erhitzen.
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In traditionellen Rezepten wird dies bereits lange intuitiv gemacht. So ergänzen sich Klassiker wie Reis und Bohnen perfekt.
Im Kontext der schlechteren Bioverfügbarkeit gibt es auch zu bedenken, dass beispielsweise ältere Personen eine schlechtere Aufnahme von Proteinen zeigen und gleichzeitig eher weniger Nahrung zu sich nehmen: Sie sind gleich doppelt betroffen,
Die Basis von Ersatzprodukten
Nun zu den Ersatzprodukten: Es gibt mittlerweile die unterschiedlichsten Basiszutaten für pflanzliche Ersatzprodukte. Je nach Zutat besteht natürlich ein anderer Nährwert und eine unterschiedliche Bioverfügbarkeit der Inhaltsstoffe.
Viel genutzte Grundzutaten für pflanzlichen Fleischersatz sind beispielsweise:
- Getreide, wie Weizen und Dinkel und Teile davon (z.Bsp. Gluten)
- Hülsenfrüchte, wie Linsen, Bohnen und Erbsen und Teile davon (v.a. Sojaproteinisolat und Erbsenproteinisolat)
- Quorn, ein fermentiertes Myzel eines spezifischen Pilzes
- Raffinierte Öle, wie Rapsöl
Für pflanzliche Milchersatz-Produkte werden vor allem folgende Zutaten verwendet:
- Getreide, wie Reis und Hafer
- Hülsenfrüchte, wie Sojabohnen
- Nüsse, wie Haselnuss und Cashews
- Saaten, wie Hanfsamen
Je nach Grundzutat ist der ernährungsphysiologische Wert sehr unterschiedlich. So ist klar, dass beispielsweise eine, vorwiegend aus Ölen bestehende, pflanzliche Wurst nicht dieselbe Zusammensetzung und damit ernährungsphysiologischen Wert hat wie Fleisch.
Für die Zukunft wird vor allem der Fleischersatz aus proteinreichen Zutaten wichtiger: Hülsenfrüchte, wie Bohnen und Erbsen, gelten momentan als das wertvollste Äquivalent zu Fleisch.
Beim pflanzlichen Milchersatz kommt aktuell einzig Milch aus Hülsenfrüchten, zum Beispiel aus Sojabohnen, an einen vergleichbaren Nährstoffgehalt wie Kuhmilch heran.
Wie gesund sind pflanzliche Ersatzprodukte?
Katrin Antwort überrascht uns:
Eine primäre Unterteilung in gesund und ungesund kann nicht gemacht werden. Es kommt auf das Produkt an und wie es in der gesamten Ernährung eingebettet wird.
Katrin Kopf
Für uns eine spannende Aussage, da wir Lebensmittel oft in “schlecht” und “gut” unterteilen. So kochen wir vor allem selten mit pflanzlichen Ersatzprodukten für Fleisch.
Katrin führt ihre Aussage noch weiter aus und kommt auf die Zusatzstoffe zu sprechen. So ist die eigentliche Basis eines Produktes meistens gesund. Jedoch enthalten aktuell (noch) die Mehrheit aller Produkte Zusatzstoffe, welche ihren gesundheitlichen Nutzen schmälern.
Die Herausforderungen für die Zukunft
Durch Katrin haben wir wichtige Fakten kennengelernt, welche die weitere Entwicklung von pflanzlichen Ersatzprodukten prägen könnten.
In Zukunft werden Produkte auf Basis von pflanzlichen Proteinen wichtiger. Die Bioverfügbarkeit der Proteine wird durch Kombinationen verschiedener Proteinquellen erhöht werden.
Der Einsatz von weniger wertvollen Inhaltsstoffen, wie Konservierungsmittel und Zusatzstoffen, wird verringert. Hingegen werden mehr Ersatzprodukte mit wichtigen Mineralstoffen, zum Beispiel Kalzium, angereichert.
Gleichzeitig wird in der Forschung nach Möglichkeiten gesucht, Lebensmittelabfälle der Lebensmittelproduktion zu verwerten. Diese enthalten oft wertvolle Inhaltsstoffe wie Nahrungsfasern und Proteine. So könnte in Zukunft der Einsatz von beispielsweise Okara (Nebenprodukt der Sojamilchproduktion), Molke (nicht pflanzlich) oder Hanfpresskuchen (Nebenprodukt der Hanfölgewinnung) gängig werden.
Insgesamt wird das Thema pflanzlicher Alternativen zu Fleisch, Milch und Eiern weiter aktuell bleiben. Wir sind gespannt auf die Entwicklungen!
Video: https://youtu.be/mxhiVxjwKy8