Jeden Tag Fleisch oder einmal die Woche? Zwei Tassen Kaffee pro Tag oder vier – wie viel muss es sein? Wir alle treffen jeden Tag tausende Mikro-Entscheide, die unser Konsumverhalten steuern. So Wählen wir zwischen Fleisch und der pflanzlichen Alternative oder entscheiden uns an Stelle des gesunden Apfels für die Tafel Schokolade.
Wir entscheiden also ständig, was wir konsumieren. Manchmal läuft unser Konsumverhalten gegen unsere eigenen Prinzipien. Das ist komplett normal, sagt Dr. Franziska Götze. Wir erfahren von ihr, weshalb solche Entscheide nötig sind.
Franziska empfängt uns an der Hochschule für Agrar, Forst- und Lebensmittelwissenschaften (BFH-HAFL) um gemeinsam über das Thema Konsum im Bezug auf eine ökologische Ernährung zu sprechen. Sie forscht an der HAFL am Konsumverhalten unserer Gesellschaft.
Im Rahmen der Kulinata 2021 führen wir, in Zusammenarbeit mit dem Amt für Umweltschutz der Stadt Bern, Interviews mit Expert:innen zu Themen der nachhaltigen Ernährung. Die Kulinata ist das Festival der nachhaltigen Ernährung und findet, mit unterschiedlichsten Veranstaltungen für Gross und Klein, vom 18. bis 24. September 2021 in und um Bern statt.
Über Bedürfnisse und Wünsche
Es ist eine grosse Frage: Was braucht es für ein gutes Leben? Das erste, was einfällt, sind die grundsätzlichen Nährstoffe wie Kohlenhydrate, Proteine und Fette, um gesund zu bleiben.
Im Interview mit Nathalie Pfister lernten wir: Die Gesundheit geht über unser körperliches Wohlbefinden hinaus. Sie umfasst neben unserem Körper und Geist die Gesundheit der Tiere, unserer Mitwelt und gesellschaftlichen Systeme. Das heisst, wir sollten dieses Wissen in unsere Entscheidungen einfliessen lassen.
So wird jede:r für sich selbst festlegen müssen, was zu den elementaren Grundbedürfnissen gehört: Also was wirklich gebraucht wird für ein gutes, zufriedenes Leben – und was zu unseren Wunschvorstellungen gehört. Dies sollte mit einem wirklich kritischen Hinterfragen der eigenen Gewohnheiten einhergehen.
Vielleicht brauchst du nicht täglich Fleisch, aber einmal die Woche. Das ist (aus ökologischer Sicht) in Ordnung, auch damit ändert sich dein Konsumverhalten massgeblich. Vier Tassen Kaffee sind möglicherweise eher ein Wunsch und «brauchen» tust du eine. Oft geht es auch mehr um das Ritual und dafür könnte ein anderes Getränk genauso gut passen.
Du möchtest dein Konsum von tierischen Produkten verringern? In diesem Beitrag geben wir dir viele Tipps dazu.
«Mein Handeln ist nicht wichtig»
Der Frage nach dem eigenen Tun folgt oft der Gedanke, was es bewirken mag. Ist eine Anpassung unseres individuellen Konsums bloss Augenwischerei?
Nein: Wir alle sind ein Rädchen im grossen System. Klitzeklein zwar, aber ohne uns geht es nicht.
Ohne unsere individuellen Veränderungen wird es nicht zu einem gesellschaftlichen Wandel kommen. Und dieser ist nötig, damit aus politischer und wirtschaftlicher Sicht die nachhaltigen Massnahmen angegangen werden. Dann wird eine ökologische Lebensweise gesamtgesellschaftlich gesehen möglich.
Bis du zum Schluss gelangt, dass du deinen Konsum anpassen möchtest? Haderst du mit der Umsetzung?
Wieso kaufe ich etwas, dass ich nicht unterstützen will?
Du handelst ab und zu gegen deine Prinzipien? Völlig normal.
Wir sind uns unserer Einstellung sicher und kaufen etwas, was nicht dieser Überzeugung entspricht. Etwa sprechen alle davon, ihr Fleisch nur noch beim Bauern von nebenan zu kaufen, obwohl die wenigsten einen solchen kennen. Und sowieso ist klar, dass alle bloss noch selten ein Steak essen – bis mensch die Verkaufszahlen von Fleisch analysiert.
Wir lernen, dass dieses Verhalten «Intentions-Verhaltenslücke» heisst. Franziska erklärt uns dieses Verhalten – welches wir gut von uns selbst kennen.
Selbst wenn wir etwas unterstützenswert finden, kaufen wir auch ab und zu etwas anderes. In unserem Fall beispielsweise konventionelles Gemüse, obwohl wir fest überzeugt vom biologischen Anbau sind. Oder wenn etwas Unveganes in unserem Einkaufskorb landet. Dann fühlen wir uns schlecht. Unsere Prinzipien gucken kurz weg, es fühlt sich an wie schummeln.
Das kollektive Konsumverhalten und Veränderungen: Es tut sich was
Wer sich bereits länger mit den Möglichkeiten nachhaltiger Ernährungssysteme auseinandersetzt, wird das Gefühl kennen, dass sich nichts verändert. Dann läufst du durch die Regale eines Grossverteilers und fragst dich, wie sehr du in einer Bubble lebst.
Franziska gibt uns im Gespräch Hoffnung: Das kollektive Konsumverhalten verändert sich konstant. Seit einigen Jahren ist auch beobachtbar, wie es grüner wird. Die Schweizer:innen machen sich mehr Gedanken, was in den Einkaufswagen wandert.
Wichtiges Auswahlkriterium ist die Herkunft von Produkten. Einem Bauer und einer Bäuerin in der Region wird vertraut – egal, wie er oder sie produzieren mag.
Weiter unterstützen uns Labels in der Entscheidungsfindung. Sie bieten Anhaltspunkte, um die Umstände der Produktion und der sozialen Nachhaltigkeit beurteilen zu können. Gleichzeitig können Labels auch irreführend sein– aber Franziska erklärt uns, dass wir nicht alles hinterfragen können. Sonst würde die kleinste Aktivität im Alltag zu einem riesengrossen Akt. Das ist für die meisten von uns nicht machbar.
Unter anderem auch deswegen ändert sich das Konsumverhalten nur langsam: Eine schockartige Veränderung ist nicht denkbar.
Und was jetzt?
Das Gespräch mit Franziska verlassen wir mit mehr Hoffnung:
Durch das ernsthafte Hinterfragen der eigenen Bedürfnisse und Wünsche können wir zufrieden nachhaltiger leben. Selbst wenn es ab und zu «Ausnahmen» gibt: Die eigene Veränderung ist notwendig und neunzig Prozent sind besser als nichts!
Gerade, wenn wir es uns leisten können, darüber nachzudenken – denn das können nunmal nicht alle Menschen in unserer Gesellschaft.
Nur durch das Anpassen des individuellen Konsums wird sich das gesellschaftliche Konsumverhalten insgesamt verändern und damit wichtige Impulse in Richtung Politik und Wirtschaft senden.